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Deep Purple: Ursuppe 1968

In der öffentlichen Wahrnehmung von Deep Purple scheint es nur eine relevante Formation zu geben: Die Besetzung mit Ian Gillan und Roger Glover zwischen 1969 und 1973, einer Zeit, in der sich die rechnerisch größten Erfolge und radikalsten Songideen einstellten, als die Purplemania rund um den Globus schwappte und die Musiker zu Superstars machte. Der produktivste Stammbaum der Rockgeschichte hatte jedoch schon tief in den Sechzigern Wurzeln geschlagen. 1968 wurde zu einem wilden, bunten, inspirierten und von Brüchen durchzogenen Jahr, in dem Deep Purple mit ihrem ersten Line-up Maßstäbe setzten.

1968 ist in vielerlei Hinsicht ein Jahr des gesellschaftlichen Umbruchs, der sich seit Mitte des Jahrzehnts angedeutet hat. Sowjet-Panzer walzen den Prager Frühling nieder, US-Soldaten massakrieren vietnamesische Dörfer, in Paris und Berlin gehen Studenten auf die Straße, Hoffnungsträger wie Martin Luther King werden ermordet, während der Olympiade in Mexico City machen Black-Power-Aktivisten auf den alltäglichen Rassismus des weißen Amerika aufmerksam. 

Dies verändert auch die Kulturszene nachhaltig. In „Swinging London“ brechen neue Zeiten an. Die Atompilzköpfe der Beatles sind längst wilderen Mähnen gewichen, die sorglose Kiffermentalität der Surfer und Flower-Power-Hippies wird zunehmend von härteren, ungeschminkteren, realistischeren Perspektiven abgelöst. 

Eine ganze Generation von Bilderstürmern befreit sich radikal vom Spießermief der Nachkriegsjahre. Pink Floyd, Frank Zappa, Black Sabbath, Yes und Led Zeppelin stehen in den Startlöchern zu Weltkarrieren. Jimi Hendrix erreicht als Gitarrenrevolutionär den Gipfel. Experimente aller Art brechen sich Bahn. Wer jetzt die zündende Mischung aus Kreativität und Tatkraft an den Tag legt und im richtigen Moment durch die passende Tür geht, hat große Chancen, in kurzer Zeit aus dem Nichts an die Spitze zu kommen. 

Es ist eine Phase kommerzieller wie künstlerischer Anarchie. Kontakte und Kooperationen entstehen ebenso schnell, wie sie wieder aufgekündigt werden. Auch Radiostationen, Verlagshäuser und Plattenfirmen sind davon nicht ausgenommen. Alles ist in Bewegung. Alles ist möglich. Die „Ursuppe“ ist konstant in Bewegung. Die jungen Wilden sind überall – und nicht mehr zu stoppen.
Mitten in diesem evolutionären Teilchen-Mahlstrom kommt ein britischer Pop-Veteran ins Spiel: Chris Curtis, Drummer der Searchers, gestählt durch die brutale Arbeitsatmosphäre des Hamburger Star Club und gesegnet mit 14 UK-Hitsingles, hat Ende 1966 die Idee zu einer Band namens The Roundabout, einer Formation ohne starre Besetzung: Der Visionär sieht ein Karussell mit kleinem Kern und diversen Gastmusikern. Diese sollen, je nach Song und Laune, unterschiedlichste musikalische Experimente anpacken.

Fasziniert von diesem Konzept und den Möglichkeiten des Musikgeschäfts ist Tony Edwards, wohlhabender Spross einer Londoner Textilfabrikantenfamilie und aus purem Hobby Manager eines singenden Ex-Models. Ewards bietet Curtis an, The Roundabout zu finanzieren, und macht Nägeln mit Köpfen, indem er zwei ihm vertraute Geschäftsleute ins Boot holt: Ron Hire und den Marketingexperten John Coletta. Die drei Herren formieren sich zu HEC Enterprises (Hire-Edwards-Coletta) und bilden damit den Kern des späteren Deep-Purple-Managements. Hire überlebt allerdings nicht einmal das erste Jahr des Triumvirats. Als er wegen Hehlerei verhaftet wird, kaufen Edwards und Coletta seine Anteile auf.

Seinen musikalischen Direktor findet Curtis in einem Pianisten und Organisten namens Jon Lord, den die Vorstellung anspricht, mit
The Roundabout seine ambitionierten musikalischen Ideen verwirklichen zu können, die weit über puren Rock’n’Roll hinausreichen. Den ersten persönlichen Markstein hat Lord 1964 gesetzt: Zusammen mit dem späteren Yardbirds- und Led-Zeppelin-Gitarristen Jimmy Page ist er als Studiomusiker an den Sessions zum Kinks-Welthit ›You Really Got Me‹ beteiligt. Später spielt er in der Band von Ron Woods Bruder Art, den Artwoods. Lord ist davon überzeugt, dass sich R&B, Klassik und Elemente aus dem Jazzbereich zu etwas völlig Neuem verschmelzen lassen. Die Artwoods werden jedoch von ihrem Label zurückgepfiffen, als ruchbar wird, in welche Richtung sie ihre musikalischen Fühler ausstrecken. Ihr Debüt- und Abschiedsalbum Art Gallery besteht am Ende ausschließlich aus Coverversionen, und die Manager von Decca entblöden sich nicht, die Band nach dem erfolglosen, von ihnen selbst aufgezwungenen musikalischen Korsett fristlos zu feuern.

1966 bekommt Jon zum ersten Mal eine Hammondorgel in die Finger. Aus praktischen Gründen zerlegt er das Monster gleich in zwei Teile, damit er es ohne Bandscheibenschäden zu Gigs transportieren kann. Im Sommer 1967 entsteht eine Band namens The Flowerpot Men. Lord trifft hier erstmals auf Bassist Nick Simper. 1968 nehmen The Roundabout mit Lord und Simper Gestalt an. 

Von Nick zu Ritchie Blackmore ist es nur noch ein kleiner Schritt: Einen Kontakt herzustellen ist für Simper das geringste Problem, als Curtis den Gitarristen ins Gespräch bringt: Er und Ritchie sind sich im Londoner Musikerzirkel seit ihren Teenagerzeiten bereits Dutzende Male über den Weg gelaufen. Ohnehin gibt es kaum jemanden, der Ritchie nicht kennt: Blackmore hat sich in Insiderkreisen - ähnlich wie die Yardbirds-Gitarristen Page, Clapton und Beck - bereits einen Namen als sensationeller Instrumentalist erspielt.
Im Januar 1968 steht Blackmore eines Tages mit einer Akustikgitarre vor Lords Tür. Die beiden schreiben auf Anhieb zwei Songs zusammen: ›And The Adress‹ und ›Mandrake Root‹. Beide Nummern landen später auf Deep Purples Debütalbum.
Zur gleichen Zeit verabschiedet sich Initiator Curtis. Sein Roundabout-Konzept ist zu vage aufgestellt. HEC sind nicht länger an der Finanzierung von Curtis’ Phantasien interessiert, halten aber an der Kombination Lord-Simper-Blackmore fest. 

Tony Edwards mietet Deeves Hall, ein abgeschiedenes Landhaus in South Mimms in Hertfordshire, für Sessions und gemeinsames Kennenlernen. Außerdem stiftet er die stattliche Summe von 10.000 Pfund zum Kauf von Equipment. Darüber hinaus bucht er im März ’68 eine Annonce im Melody Maker, die ambitionierten Sängern im Erfolgsfalle „zwei Monate gut bezahlter Arbeit“ verspricht. 

60 Kandidaten werden durch Auditions geschleust, darunter der weithin unbekannte Rod Stewart, der den Ansprüchen der drei anderen jedoch nicht gerecht wird. Sein Stern soll noch im selben Jahr als Frontmann der Faces aufgehen. Auch Ian Gillan, seinerzeit Stimme des Entertainment-Ensembles Episode Six, wird von Simper angesprochen, hat zu diesem Zeitpunkt allerdings keinerlei Interesse und lässt das Vorsingen sausen.

Drummer Ian Paice, den Blackmore bereits Jahre zuvor auf einer Nordseefähre kennengelernt hat, als beide auf dem Weg zu Jobs in Hamburger Clubs waren, wird von einem weiteren Kandidaten mitgebracht, dem erst 21 Jahre jungen Rod Evans. Blackmore ist begeistert von Paice, seitdem er ihn mit dessen damaliger Band The Maze im Star Club gesehen hat. Gleich die erste gemeinsame Jam-Session lässt die Funken stieben: Paice und Evans passen wie gemalt. Die Besetzung steht.

Unverzüglich stielt Tony Edwards die Aufnahmen zum ersten Album ein. Blackmore gewinnt Derek Lawrence als Producer, einen Toningenieur der Abbey Road Studios, mit dem er bereits bei zahlreichen Studio-Jobs zusammengearbeitet hat. Lawrence hat umgehend einen guten Tipp parat und stellt den Kontakt zum kalifornischen Label Tetragrammaton her. Die Amis zahlen einen Vorschuss von 2.000 Dollar. Die Preise galoppieren: Ein rundes halbes Jahr später holt Peter Grant für die ebenfalls namenlosen und ebenfalls auf dem Reißbrett entstandenen Led Zeppelin das Hundertfache bei Atlantic Records heraus.

Fön für Fans 

Die Band gibt live sofort Vollgas. Im April macht man sich für elf Shows auf den Weg nach Skandinavien. Der erste Auftritt findet 20. April 1968 im dänischen Tastrup statt. Schon in Deeves Hall hatte die Band den inoffiziellen Lautstärkeweltrekord für möblierte Wohnzimmer gebrochen. Bei den Warm-up-Gigs werden die Frisuren der Besucher mit einer bis dato unerhörten Urgewalt gefönt. 

Schon jetzt gehören lange Improvisationsparts zum Set. Blackmore wandelt auf Hendrix’ Spuren, Lord auf neoklassizistischen Pfaden, hinzu kommen Evans kraftvolle, einen Tick an Elvis erinnernde Stimm-Vibrationen und Ians ausgefeiltes Drumming. Sowohl Lord als auch Blackmore outen sich in ihren Duellen als Anhänger von Vanilla Fudge und den ausschweifenden Live-Performances der Amerikaner. Von Beginn an wird die Triebfeder typischer Purple-Performances sichtbar: Blackmore versucht Lord an die Wand zu spielen, Lord will sich von Blackmore die Fahrt nicht vormachen lassen. Diese Rivalität sorgt dafür, dass live ständig die Luft brennt.

Noch vor dem ersten Gig in Dänemark wandert der Name Roundabout in den Mülleimer. Ritchie bringt ›Deep Purple‹ ins Spiel, Titel eines Klavierstücks aus den dreißiger Jahren, das in den Fünfzigern in Britannien zu großer Popularität aufläuft und als Lieblingssong seiner Großmutter jahrelang im Hause Blackmore rotiert. Aber der „man in black“, der sich seit seinem zwölften Lebensjahr fast ausschließlich schwarz kleidet, hat auch im Auge, der Band „Farbe“ zu geben – ähnlich wie Blue Cheer, Pink Floyd oder Black Sabbath.

Am 11. Mai werden die Pye Studios in London gerockt. Das vorwiegend von Single-Veröffentlichungen geprägte Zeitalter neigt sich dem Ende entgegen: Shades Of Deep Purple wird der erste Longplayer im Katalog von Tetragrammaton. Die Band hat gerade eben ein Wochenende zur Verfügung, um die Songs unter Livebedingungen im Vierspur-Verfahren einzuspielen. Die Soundeffekte zwischen den Songs entnimmt Lawrence schlicht einem frei erhältlichen BBC-Album.

Die Band favorisiert zunächst ihr Arrangement des Beatles-Songs ›Help‹; das Label besteht jedoch auf ›Hush‹, einer Joe-South-Nummer, die dank Blackmores Vorschlag auf dem Album gelandet ist. Eine weise Entscheidung. Die amerikanischen Radiostationen nehmen den dank Simpers Powerbass und Lords Hammond-Gegurgel tanzbaren Kraftgroover begeistert auf. Dank des massiven Airplays landet er am Ende auf Platz vier der Billboard Charts. Das Album erscheint im Juli und schafft es in den Vereinigten Staaten bis auf Platz 24.

In England passiert allerdings überhaupt nichts, obwohl man in Europa über ein Sublabel von EMI vertrieben wird. Die Radiolandschaft ist eine andere, die Band daher nicht präsent, und zudem machen sich Purple mit ihren ersten offiziellen Liveauftritten keine Freunde. Bei ihrem Gig als Support der Byrds im Londoner Roundhouse ist an sich für alles gesorgt: Edwards hat sogar die Marshall-Stacks von Blackmore violett anpinseln lassen und für eine Armee von Roadies gesorgt. Die Elemente ihrer Show, das Duell des barocken Spiels von Lord mit den entfesselten Gitarren von Blackmore, kommen jedoch überhaupt nicht an. Einerseits spielen sie lauter als jede andere Band ihrer Zeit, andererseits demonstrieren sie ihre Fähigkeiten mit einer dermaßen ausgeprägten Selbstverständlichkeit, dass ihnen dies als Arroganz ausgelegt wird. Außerdem verbreitet sich das Gerücht, sie seien gehypte Amerikaner. „Vanilla Fudge für Arme“ ist noch das netteste Kompliment, das in den Presse-Reviews zu lesen steht, obwohl sich vereinzelt auch Stimmen breit machen, die von einer Sternstunde sprechen. Man verlangt zudem von ihnen, sie sollten sich, wie auf der Insel üblich, erst einmal in sämtlichen Löchern zwischen Inverness und Plymouth den Arsch abspielen, um sich einen Namen zu machen. Dabei sind sie mit ihren komplexen Kompositionen schon längst »keine Tanzkapelle mehr«, wie Ian Paice anmerkt, und damit für Tralala-Auftritte ungeeignet. Ochsentouren dieser Art haben alle außer Evans ohnehin schon längst hinter sich. Und nach dem reibungslosen Charterfolg in den Staaten sieht auch das Management keinen Sinn darin, die Band durch schlecht bezahlte Beatkeller-Gigs zu jagen.

Auf der Insel bewegt sich also nichts. Außerdem tut sich vor der ersten US-Tour eine Pause auf, weil die Band nicht gerade üppig gebucht wird. Was macht man in einem solchen Fall? Urlaub? No way! Man nimmt einfach noch ein Album auf. Der Vorschlag kommt von Tetragrammaton, und Edwards schickt seine Jungs unverzüglich ins Studio, diesmal ins De Lane Lea, wiederum mit Derek Lawrence, der die Eigenkompositionen und eigenwilligen Cover-Arrangements der Jungs erneut mit einem glasklaren, knackigen und definierten Sound einfängt.
The Book Of Taliesyn erscheint im Oktober 1968 – zunächst jedoch nur in den USA. Bei Taliesyn, einer mittelalterlichen Kombination der Begriffe „Tales“, „Lies“ und „Sin“, handelt es sich um den Barden des Hofstaats von König Artus, also einen Troubadix des Kamelot-Zeitalters, um es salopp auszudrücken. 

Ähnlich wie dem Sangesgott und Lead-Leiermann des Obelix-Dorfs ergeht es Deep Purple auch bei ihrer US-Tour mit den britischen Kollegen Cream, die sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens befinden. Das Gastspiel als Anheizer von Jack Bruce, Eric Clapton und Ginger Baker dauert nur drei Abende lang. (Der Premierenabend wird 1998 für Sammler als nachbearbeiter Bootleg unter dem Titel Live At The Forum offiziell veröffentlicht.) Dann sorgen die drei Landsleute dafür, dass die unerwünschte Konkurrenz von der Tour gekickt wird. 

Clapton und Blackmore können sich seinerzeit ohnehin auf den Tod nicht ausstehen, und den etablierten Cream ist es ein Dorn im Auge, dass der Name der Newcomer ebenso fett auf den Tourplakaten angekündigt wird wie ihr eigener. Der Rauswurf entpuppt sich für Purple als Glücksfall: Sie sind bereits bekannt genug und haben darüber hinaus überschwängliche Kritiken für ihre drei Gigs erhalten, so dass ein von Tetragrammaton engagierter Booker im Handumdrehen diverse kleine Headliner-Gigs buchen kann, um die Briten für den Rest des Jahres an der Westküste zu beschäftigen.

In puncto Dynamik und Spielkunst vollzieht sich ein Quantensprung in der Entwicklung von Deep Purple. Auf Clubebene feiern sie Triumphe. Ende Dezember ’68 können Deep Purple in den USA auf fast vier Millionen verkaufter Tonträger zurückblicken, die beiden Alben sowie die Singles ›Hush‹ und ›Kentucky Woman‹ zusammengenommen.
Kaum zurück in der Heimat, geht es erneut ins Studio – für die Aufnahmen zum dritten Longplayer innerhalb von gerade einmal acht Monaten. Mit dem schlicht Deep Purple betitelten Werk, das ein Gemälde des avantgardistischen holländischen Malers Hieronymus Bosch aus dem 15. Jahrhundert als Klappcover erhält, demonstrieren Purple endgültig, dass sie zu nachhaltig eigenständigen Kompositionen in der Lage sind. Die Scheibe steht jedoch aus mehreren Gründen unter keinem guten Stern. Einerseits enthält es keinen für die Staaten passenden Single-Track. Auch ›Emmaretta‹, ein launiges Überbleibsel der Studio-Sessions, reißt kommerziell keine Bäume aus. 

Hinzu kommt, dass man bei Tetragrammaton im Überschwang der Erfolge mehr Geld ausgibt, als man einnimmt, und zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Extras wie eine Flotte ständig in Bereitschaft gehaltener Cadillacs oder ein Gärtner, der die üppigen Blumenarrangements rund um das repräsentative Gebäude am North Canon Drive in L.A. zweimal pro Tag auswechselt, sind jedoch Peanuts verglichen mit Irrsinnsprojekten wie dem gleichzeitigen Release von fünf Singles einer Nachwuchssängerin an ein und demselben Tag. Es ist scheinbar noch nicht schwer genug, Airplay für nur eine einzige zu erhalten...

Die zweite US-Tour hält nicht im Mindesten, was die Gigs im Herbst versprochen haben. Die Venues sind zu klein und die Gigs zu schlecht beworben; Tetragrammaton haben durch ihr Mismanagement schlicht kein Geld mehr, um eine weitere Single pressen zu lassen und in den Markt zu drücken. Auch bandintern steht es längst nicht mehr zum Besten. Zwischen Lord und Blackmore sowie Evans und Simper beginnt es zu kriseln. Als sie am 29. Mai in Buffalo ihr letztes US-Konzert absolvieren, ist unausgesprochen klar, dass die Haltbarkeitsdauer dieser Besetzung abgelaufen ist.
Hinzu kommt, dass Anfang Januar das Debütalbum von Led Zeppelin den Staaten erschienen ist und Jimmy Page samt Band über Nacht zu Göttern gemacht hat, die im Handumdrehen größte Stadien ausverkaufen. Spätestens jetzt wird Blackmore klar, wohin die Reise gehen muss, dass es möglich ist, mit kompromisslosen Kompositionen alles zu erreichen. Die Formel für das, was einmal Deep Purple In Rock werden soll, wird für Ritchie, Lord und Paice immer offensichtlicher.

Spätestens jetzt sind Evans und Simper im Weg und müssen weg. Schlecht ist allerdings der Stil, mit dem die beiden vor die Tür gesetzt werden. Da das neue EMI-Label Harvest den Release von The Book Of Taliesyn auf den Juli 1969 verschoben hat und Edwards/Coletta in der Zwischenzeit weitere Gigs in Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent gebucht haben, muss das längst gespaltene Line-up am Leben erhalten werden, bis es am 4. Juli in Cardiff seinen letzten Gig über die Bühne bringt. Simper erfährt von seinem Rauswurf aus der Zeitung.

Bereits zwei Tage später werden Ian Gillan und Roger Glover der Presse als Nachfolger präsentiert. In aller Stille hatte man mit den beiden schon im Juni eine Single aufgenommen. ›Hallelujah‹ ist erneut eine Coverversion. Um das Durcheinander komplett zu machen, packt Harvest auf die B-Seite ›April‹ vom Deep Purple-Album, für das in Europa noch nicht einmal ein Veröffentlichungstermin angesetzt ist.

Hinter Blackmore, Paice und Lord liegen knapp 15 Monate, in denen sie zu einer Spielstärke und Kreativität gefunden haben, die ihresgleichen sucht. Das Rückgrat der Band steht ebenso unbesiegbar wie die legendäre „Achse“ der Münchner Bayern mit Maier, Müller und Beckenbauer. Keine zwölf Monate später haben sie mit Led Zeppelin gleichzogen. Das Concerto For Group And Orchestra befriedigt im September 1969 die Classic-Rock-Ambitionen von Lord, während sich der gesamte Fünfer, von der Presse schlicht Mark II genannt, mit In Rock ein Denkmal für die Ewigkeit setzt.
Nick Simper, bis heute als Musiker aktiv, hat die verpasste Chance, mit Purple groß zu werden, übrigens nie verwunden. Er gab sich 1969 mit einer einmaligen Abfindung zufrieden, prozessierte später vergeblich um die Nachzahlung von Tantiemen und kann den späteren Erfolgen der Band rein gar nichts abgewinnen. In Interviews hält er nach wie vor fest, dass die erste Purple-Besatzung ihr Potenzial lediglich ansatzweise ausgeschöpft habe.

Deutlich wird jedoch vor allem eines: Das Management-Duo Edwards/Coletta lernt in puncto Menschenführung auch mit der Mark-II-Besetzung nichts hinzu. Die Herren sind halt reine Geschäftsleute, die es nicht schaffen, „Musik“ und „Geschäft“ auszubalancieren. Die Band wird weiterhin ebenso konsequent überfordert wie das erste Line-up und durch viel zu viele Tourneen und hastig eingeschobene Studiotermine zermürbt. Mit einem Manager wie Led Zeps Peter Grant hätten Deep Purple fraglos ganz andere Dimensionen erreichen können. Aber das steht ohnehin auf einem anderen Blatt ...

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