Heino brutal: der einzig wahre Westernhagen
Gut geklaut ist halb gewonnen. Egal ob es um asiatische Industriespionage oder musikalische Hacker-Angriffe geht: Wer geschäftlich ernsthaft etwas reißen will, der braucht meist mehr als blankes Können oder edle Meisterschaft. Vor allem Medien-Menschen, die mit ihrem guten Namen bürgen.
Niemand weiß besser, wie man sich mit einfachsten Mitteln künstlich erregt: Der „Rocker-Krieg gegen Heino“ erschütterte am 24. Januar 2013 Seite eins von Deutschlands gescheitestem Grillanzünder: „Top-Bands wie Rammstein oder Die Ärzte gehen auf die Barrikaden. Nie wurde ein Musiker-Kollege so massiv beschimpft.“ Ganz bestimmt vollkommen echte Promi-Mucker-Zitate („Die Namen sind der Redaktion bekannt“) hackte Bild-Mann Mark Pittelkau in seine leidgeprüfte Tastatur: „Diesen Dreck muss man löschen.“ – Was denkt sich dieser Schunkel-Opa? Der soll seine Rentner-Schnulzen trällern.“
Entzückend egal
Wie konnte es nur so weit kommen? Ojeoje, Deutschlands volkstümlicher Superstar Nummer eins hatte eine ironisch-teutonische Sparschweinscheibe in der Art von Pat Boones Big-Band-Meilenstein In A Metal Mood: No More Mr. Nice Guy herausgebracht – und keinen der Gecoverten vorher gefragt, ob er das auch darf. Schlimm! Aber total legal. Und Kollegen wie den Ärzten und Rammstein total egal, die sich schwer wunderten, dass sie überhaupt etwas dazu gesagt haben sollen.
Immerhin: Das Management des seinerzeit 74-Jährigen durfte sich rühmen, mit seiner geschickt zur Karnevalszeit arrangierten Imagekampagne Medienmacher aller Kategorien aus dem Tiefschlaf geholt zu haben. Einsame Spitze: Kathrin Spoerr vom Hamburger Abendblatt. Der Dame splitterten beim Anblick der brandgefährlichen neuen Heino-Promo-Fotos mit Totenschädel-Logo und Blutsäuferlederjacke die künstlichen Wimpern: „Heino hat sich für seine Platte das wahrscheinlich allerbrutalste Stück Musik genommen, das es gibt: ‘Sonne‘ von Rammstein. ‘Sonne‘ ist so martialisch, dass man sich ein bisschen scheut, Lied dazu zu sagen.“
Liebe Frau Spoerr, sollten Sie Heinos andere typische Ultra-Grindcore-Nackenbrecher aus dem Repertoire von Nena, Peter Fox oder den Fantastischen Vier je ohne Spätschäden verdaut haben, lassen Sie sich doch mal Mad Butcher von Destruction, Hell Comes To Breakfast von Zimmers Hole, Kamikaze Jazz von Yoshuke Yamashita oder Pat Methenys Gitarrensolo Zero Tolerance for Silence auflegen. Danach dürfte klar sein, warum das „Rrrrrr“ von Reichsrammler Till Lindemann oder das bierzeltige Hau-ruck der Toten Hosen so entzückend mit dem Timbre von Heinz-Georg Kramm harmonieren. Dabei muss man noch nicht einmal die gemeinsame Vergangenheit berücksichtigen: Die Hosen waren schon 1984 mit dem „einzig wahren Heino“ Norbert Hähnel als Teilzeit-Frontmann auf Stadiontour, bis der echte Heino erfolgreich vor Gericht zog.
Ruiniert: mit 34
In der Kategorie „Schmuck aus fremden Federn“ hat die Geschichte der populären Musik freilich weitaus radikalere Kapitel geschrieben. Beispielsweise das von Rod Evans, dem Sänger des 1968er Single-Superhits „Hush“. Der 1947 im schottischen Edinburgh geborene Wahlkalifornier tauchte nach einer Cover-Orgie der Extraklasse unter und hat bis heute nicht die geringste Spur hinterlassen. Zuletzt gesichtet wurde der erste Frontmann von Deep Purple 1980, als er aus einem Gerichtsgebäude in Los Angeles trat: In diesem Moment war seine Karriere als Musiker schlagartig beendet und der Mann buchstäblich ruiniert. Mit 34.
Was war geschehen? Die Rock-Explosion hatte seit Mitte der sechziger Jahre die Unterhaltungsindustrie völlig auf den Kopf gestellt. Dutzende von Acts waren seit den Heydays der Beatles zu Superstars aufgestiegen. Ende der Siebziger waren viele Musiker, die fünf oder zehn Jahre zuvor auf dem Gipfel ihres Ruhms standen, längst wieder abgestürzt, ihre Bands aufgelöst oder auf Eis gelegt. Vor allem in den USA formierten sich allerlei skrupellose Geschäftemacher, die aus einstmals großen Namen noch ein paar Dollars herauszupressen versuchten. Sie kamen auf die Idee, einzelne Musikanten längst abgewrackter Kapellen mit namenlosen Begleitmusikern auf Tour zu schicken.
14 unterirdische Shows
Rod Evans war sowohl Opfer einer solchen Kampagne als auch ein heillos naiver Mittäter. Sein Pech: Der Name Deep Purple war von den Managern der Band in weiser Voraussicht bereits 1971 über eine Rechtegesellschaft namens Deep Purple Overseas Limited in den USA als geschütztes Markenzeichen eingetragen worden.
Davon ahnt Rod nichts, als er 1979 von einem Mann namens Steve Green kontaktiert wird, der sich als Besitzer einer Management-Company namens Advent Talent Associates vorstellt. Green fragt rundheraus, ob Evans es sich nicht vorstellen könne, mit einer völlig neuen Deep-Purple-Besetzung auf Tour zu gehen. Die Musiker habe man bereits rekrutiert, er müsse nur singen.
Evans, der zuletzt 1973 mit einer Gruppe namens Captain Beyond ein Album veröffentlicht hatte, sieht eine letzte Chance und sagt zu, denn Purple haben sich 1976 offiziell aufgelöst. Ein verhängnisvoller Fehler. Die „Band“, mit der er im Mai und August 1980 insgesamt 14 unterirdische Shows absolviert, hat diesen Namen nicht verdient. Selbst mit LSD vollgepumpte Schnapsleichen erkennen zweifelsfrei, dass sie mit diesen „Deep Purple“ hopsgenommen werden.
Heulende Wölfe
Passenderweise handelt es sich um ein ähnliches Line-up wie jenes, das von Green 1977 unter dem Namen „Steppenwolf“ ohne ein einziges Originalmitglied auf Tour geschickt worden war, weshalb Steppenwolf-Gründer John Kay gerichtlich gegen die Herrschaften vorgeht – und seinen eigenen Bandnamen „zurückleasen“ muss, weil er kein ordnungsgemäßes Copyright vorweisen kann. Erst 1980 gewinnt er den Prozess.
Steve Green hat sich bereits vorsorglich nach neuen Opfern umgeschaut. Greens „Hausmusikanten“, Gitarrist Tony Flynn und Keyboarder Geoff Emery, beide zuvor als „Steppenwölfe“ auf Schummel-Tour, sind schnell bei der Sache, nun unter dem Namen Deep Purple ein paar schnelle Dollars einzusacken. Ex-Purple-Bassist Nick Simper, der von Evans kontaktet wird, lehnt das windige Projekt sofort ab. Rod hingegen lässt sich sogar darauf ein, das gesamte Unternehmen auf seinen Namen laufen zu lassen und damit das alleinige juristische Risiko zu tragen. Am Ende wird er als Einziger dafür bestraft, den Namen Deep Purple widerrechtlich verwendet und beschädigt zu haben. Der Los Angeles Federal District Court verurteilt ihn am 3. Oktober 1980 zur Zahlung von 672.000 Dollar Schadensersatz.
Evans verliert auf Lebenszeit alle Tantiemen aus den drei Purple-Alben, an deren Entstehung er beteiligt war. Die bereits für eine Subfirma von Warner Brothers aufgenommenen sechs Songs, die im November 1980 als „Deep Purple“-Album erscheinen sollten, darunter ein Track mit dem passenden Titel „Blood Blister“ – also „Blutblase“ – enden in der Schredderpresse.
Täterätä! Die Kavallerie!
Spätestens beim katastrophalen Tourstart in Mexico City, der nach einem gerade eben 40-minütigen Auftritt in Chaos und Aufruhr endet, hätte Rod die Notbremse ziehen müssen. Ohrenzeugen sprachen von unterirdisch interpretierten Songs wie „Space Truckin‘“, mit denen nicht einmal Evans etwas als Urheber am Hut hatte, geschweige denn seine unerschrockenen Mitstreiter. Die Bühne war in Windeseile übersät mit Wurfgeschossen. Berittene Polizeieinheiten mussten eingesetzt werden, um die tobende Menge zu zerstreuen.
Die Tour wird indes ungerührt fortgesetzt. Frustrierte Konzertbesucher machen sich auch in Detroit mit einem Hagel aus Flaschenwürfen Luft, was die Veranstalter in New York dazu veranlasst, den Gig noch während des ersten Songs abzubrechen und die Fans freiwillig aufzufordern, sich an der Kasse ihr Geld wieder abzuholen. In Quebec endet die „Performance“ auf halber Strecke, nachdem die Bühne durch ein Bombardement aus zertrümmertem Mobiliar unbegehbar geworden ist. Klampfen-Tony Flynn legt noch eins drauf und stachelt das wütende Publikum mit der Bemerkung an: „Wer die wahren Deep Purple sehen möchte, ist gerne eingeladen zu bleiben. Alle anderen können sich verpissen!“
Der finale Showdown ereignet sich am 19. August 1980 in der Long Beach Arena von Los Angeles. Vorsorglich schaltet das Purple-Management eine Anzeige in der L.A. Times: „Die folgenden Stars werden morgen nicht erscheinen: Ritchie Blackmore, David Coverdale, Ian Gillan, Roger Glover, Glenn Hughes, Jon Lord, Ian Paice.“
Orgelsolo mit Kettensäge
Erstaunlicherweise hat dies kaum Auswirkungen auf den Ticketverkauf. 9.000 der 12.000 Plätze sind besetzt – entweder von Neugierigen, die sich ein Spektakel erhoffen, oder von Leichtgläubigen aller Art, die nach wie vor daran glauben, Ritchie & Co. bejubeln zu dürfen. Die ersten Frustrierten belagern zwar bereits wenige Minuten nach Konzertbeginn die Kassenhäuschen und fordern ihr Geld zurück, aber die meisten Freaks stehen den Gig durch, obwohl die Nummern so dumpf aus der PA wummern, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Um die spielerische Not zu kaschieren, wird eine gigantische Pyro- und Lasershow abgefeuert, die selbst Kiss und Konsorten in den Schatten stellt. Optischer Höhepunkt ist Emerys Keyboardsolo. Es endet damit, dass Drummer Dick Jurgens, der in einem Glitzerkostüm über die Bühne hampelt, die Orgel mit einer brennenden Kettensäge demoliert.
Brain für zehn
Selbst nach diesem künstlerischen Desaster glaubt Rod Evans unerschütterlich an eine Zukunft seiner „Band“. Auch Eigenkompositionen sind bereits in Planung: "Wahrscheinlich wird es ein wenig in der Art von Genesis klingen, mit melodischer Schlagseite Richtung Purple und Gehirnchirurgen-Rock", erzählt er einem Sounds-Reporter in einem seiner letzten Interviews.
Purple-Organist Jon Lord kommentierte das Desaster Jahre später mit den Worten: "Die Nummer war einfach zu dämlich. Rod war ein Idiot, von Leuten in die Irre geführt, denen es niemals um Qualität ging. Wenn die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten vor Gericht gebracht worden wäre, hätte ihnen das amerikanische Recht zugestanden, unter dem Namen Deep Purple Platten aufzunehmen und zu veröffentlichen. Und das wäre für uns das Allerschlimmste gewesen.“
Schauprozesse mit Herrn Müller
Verglichen mit diesen Turbulenzen ist Heinos niedlicher Versuch ein Stürmchen im Wasserglas. Es sei denn, er pumpt sich noch mal richtig auf und geht mit 90 als Der einzig wahre Westernhagen auf Tour. Die anschließenden Schauprozesse mit Herrn Müller könnten für uns alle sehr lustig werden.