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die Wortwerkstatt

Mike Seifert (1960 - 2020)  

Mike in Malibu 1999: ausnahmsweise ohne knöcheltiefen Ledermantel auf der Veranda von W.A.S.P.-Geschäftsführer Blackie Lawless


Wasserstoffblonde Kringel-Mähne, langer, schwarzer Ledermantel, darunter eine schwarze Lederweste, schwarze Schnürlederjeans und schwarze Cowboystiefel mit silbernem Beschlag. Mike hätte ohne jeden Zweifel 1880 neben Wyatt Earp vor dem Saloon von Dodge City beim Schuss aus der Hüfte eine gute Figur gemacht.

 

Waffe Nummer eins: ein eckiger schwarzer Aktenkoffer mit sechsstelligem Zahlenschloss. Waffe Nummer zwei: schier furchterregende Zahnlücken. Andere hätten die Lippen beim Grinsen zusammengekniffen. Mike Seifert nicht. Bei seinem dröhnenden Lachen stand die Futterluke stets so offen wie ein Scheunentor. Er war das pralle Leben. Er war Rock’n’Roll.

 

Im Sommer 2005 kam er zu Besuch. Mit der Eisenbahn. Natürlich in exakt dieser Erscheinung. Auch bei 37 Grad im Schatten trug er prinzipiell seine heiß geliebte Lederkluft.

 

Es wurde eines der kurzweiligsten langen Wochenenden meines Lebens. Mike las die Entwürfe meines Buchs „Hammermusik für Behämmerte“ Korrektur. Dabei qualmte er ununterbrochen wie eine Lokomotive. 


Vor lauter Lachanfällen, bei denen der Putz von der Decke rieselte, vergaß er immer wieder, meine Stockfehler auch tatsächlich zu markieren. Die kleinen Aussetzer landeten im Druck und erinnern mich bis heute an diese Tage – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es das Buch ohne ihn in dieser Form möglicherweise gar nicht gegeben hätte.

 

In einem prall gefüllten Vier-Seiten-Report hatte er 1988 im Rock Hard dokumentiert, wie Hardrock-Musiker und Heavy-Metal-Fans von Autoren quer durch den gesamten Blätterwald von Bild bis Spiegel verhöhnt wurden: als asoziale, gewalttätige Idioten, deren „Kultur“ nichts anderes als den Untergang der Zivilisation bedeuten konnte. Oder zumindest der Zivilisation der Schöngeister und Gartenzwerghalter.

 

Auf viele Menschen dürfte Mike eher anstrengend gewirkt haben. Für mich war er vor allem intensiv: unverschämt kreativ und sprachgewandt, ausgestattet mit einem hellwachen Geist, raumgreifenden Kenntnissen und einem grenzenlosen Humor. Ein unverfälschter Individualist, der ganz nebenbei stundenlang über den Anbau, die Verarbeitung und die Sortenreinheit von Tabak dozieren konnte, während er genüsslich kubanische Zigarren schmauchte. Bei einer solch abendfüllenden Küchentischrunde fragte eine junge Frau erstaunt: „Bist du Profi-Raucher?“ Klar doch. Denn er schrieb auch gewitzte Kolumnen für Hanfmagazine.

 

Ein Profi war er durch und durch, ausgestattet mit einem deftigen, ungekünstelten Schreibstil, was er viele Jahre als vielseitiger Kultur-Reporter im Mannheimer Morgen unter Beweis stellte. Hinzu kam ein hellwacher Blick für die Essenz in der Bearbeitung von fremden Texten. Ein geborener Lektor für das Universum des Hard Rock und Heavy Metal und seiner Presseorgane. 

 

In der Blütezeit des Genres seit den 1980ern gab es nur eine Handvoll von uns: Spezialisten, Liebhaber, Irre. Aber selbst unter uns war Mike ein ganz spezieller, liebenswerter Irrer. Ein Honorar für seine Mitarbeit an „Hammermusik“ lehnte er ab, obwohl es ihm finanziell nie gut ging. Selbst sein Zugticket bezahlte er aus eigener Tasche. Dabei war er die längste Zeit seines Lebens nicht einmal krankenversichert, sein Kühlschrank oft gähnend leer.

 

Verglichen mit dem Aufwand, den wir betreiben mussten, um aus grobkörnigen Beiträgen ungelernter Autoren lesbare Artikel zu zaubern, war jeder sesshafte Verlagslektor mit Urlaubsanspruch ein unterbeschäftigter und überbezahlter Animateur aus dem rosa Glücksbärchi-Land. Wir hingegen schlugen uns als Einzelkämpfer durch den Wilden Westen. Zwei Messer im Rücken, eins zwischen den Zähnen.

 

Erst Ende 2020 habe ich erfahren, dass Mike gestorben ist. Schon zu Beginn des Jahres hatte man ihn tot in seiner Mannheimer Wohnung aufgefunden. Er wurde nur 59 Jahre alt. Aufgrund seiner Vorgeschichte mit mehreren Schlaganfällen ist zu befürchten, dass er ein entsetzlich langsames und einsames Sterben durchlitten hat. Es muss ihm aber auch zuvor schon sehr lange schlecht gegangen sein, wie Marco Magin vom Break Out in seinem Nachruf durchblicken ließ.

 

2009 erlebte unsere Freundschaft einen glatten Bruch. Es ging um meine und um seine Existenz. Ich fühlte mich verraten. Dabei waren wir letztlich beide Opfer im Machtspiel eines ehrlosen Verlegers. Wir haben uns nie wiedergesehen.

 

Fast auf den Tag genau zehn Jahre später, im Herbst 2019, sandte mir Mike eine für seine Verhältnisse banal formulierte E-Mail. Mir fehlten die Worte, um sie zu beantworten. Es war offensichtlich sein Versuch, mir noch einmal die Hand zu reichen. Ich war zu blind, um zu begreifen, wie furchtbar es bereits um ihn stehen musste.

 

Es gibt Dinge, die man nicht mehr gutmachen kann. Unsere langjährige Funkstille hätte nicht sein müssen. Ich werde ihn vermissen, solange ich lebe.


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