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Zulassungsprobleme beim US-Glamping: norwegische Festival-Mobile (pic: mb)

Mit Ari auf Safari

Begreift man Woodstock als die Mutter aller Open Airs, dann ist Desert Trip in Palm Springs eine Beerdigung einsamer Klasse. 1969 war es ein charmant improvisiertes Happening. 2016 genossen die Ex-Hippies der Generation Kreuzfahrt ein keimfrei inszeniertes Wochenende ohne Blut, Schweiß und Tränen. Sauber und adrett wie Glamping im Freizeitpark.


„Kult? Zum Kult wird nur, wer schon tot ist. Hendrix ist Kult. Cobain ist Kult. Aber kein einziger Lebender. Egal wie oft das Wort auch missbraucht wird.“


Der 2009 verstorbene Kölner Rockgitarrist Alex Parche, Sidekick und Tourmanager von Urviech Jürgen Zeltinger („Asi mit Niwoh“), war bekannt für seine unbeirrte Haltung. Parche hat alle Aspekte der Branche kennengelernt, die gesamte Palette zwischen einfachem Straßenstaub und doppelten Drinks; sämtliche vorstellbaren Exzesse inklusive.
Sein Lieblingsthema: Rock’n’Roll als Geschäft, das in der Regel „von unmusikalischen Arschgeigen“ betrieben wird, die er „Lakaien“ nannte: „Die brauchen ab und zu den Knüppel.“


Poetry mit Peitschenhieben


Wäre er noch unter uns, hätte man ihn angesichts der Entwicklungen auf dem Festival-Sektor für einen abendfüllenden Auftritt bei der Slam-Poetry-Weltmeisterschaft anmelden können. Ihm wären die Peitschenhiebe nicht ausgegangen.


An zwei Wochenenden im Oktober 2016 trafen im Amphitheater eines exklusiven Polo-Clubs am Rande der Seniorenresidenz Palm Springs in Südkalifornien sechs Acts in drei Abendpaketen zum sogenannten „Konzert des Jahrhunderts“ aufeinander: die Rolling Stones und Bob Dylan, Paul McCartney und Neil Young sowie Pink-Floyd-Dissident Roger Waters und The Who.


Das günstigste Stehplatz-Ticket war für 400 Dollar zu haben. Sitzplätze im Nahbereich der Bühne rangierten von 700 bis 1.600 Dollar. Nach oben hinaus durfte jeder Konzertbesucher seine Ausgaben individuell gestalten. Dies hing vor allem mit der Wahl der exklusiven Unterkunft zusammen – oder ob man bis zu seinem Sitz in Reihe eins der Business-Lounge von persönlichen Assistenten begleitet zu werden wünschte.


Ein Kasten pro Zelt


Die rustikale Unterbringung für den erprobten Festival-Deadhead im dritten Jahrtausend wurde vor allem im urgemütlichen Safari-Zelt Wirklichkeit. Für einen Grundpreis von 10.000 Dollar pro Weekend durften zwei Personen von eifrigen Sherpas ihr Übergepäck tragen lassen, den Shuttleservice zum Gelände nutzen, Mitternachts-Snacks ordern und sogar einen eigenen Bierkasten mitbringen. Laut Platzordnung allerdings nur einen. Ab zwei Uhr morgens galt Nachtruhe.


Der Aufenthalt in der noch exklusiver möblierten Festival-Yurte mit Bärenfell, Champagner-Kühlschrank, Wellnessbereich, Fünf-Sterne-Futter von eingeflogenen Küchenchefs, Butler und Golfplatzwagenchauffeur war auf Anfrage möglich; deutlich über 25.000 Dollar Taschengeld sollte der lauffaule Who-Fan dafür allerdings schon aufbringen können.


In ähnlicher Größenordnung bewegten sich die architektonisch gewagten Wochenendhäuschen mit Wimbledonrasen und Wildwasser-Pool. Aber auch der gemeine Nutzer von Hotelzimmern in der näheren Umgebung sollte nicht gerade als Paketzusteller, Servicekraft oder Kellerbar-Pianist seinen Lebensunterhalt verdienen. Die günstigste Absteige in Palm Springs war 2016 für 300 Dollar pro Nacht zu haben, die etwas komfortableren Schlafgemächer für 500 bis 1.200 Dollar.


Keine Luftbefeuchter, keine Haustiere


Nicht gestattet war laut Website des Veranstalters das Mitbringen von typischem Open-Air-Zubehör wie Wasserpistolen, Haustieren, Sonnenschirmen, Luftbefeuchtern, Flaggen, Fahrrädern, Bollerwagen, Golftaschen und vor allem: Musikinstrumenten.  Willkommen waren hingegen ungeöffnete Zigarettenpäckchen, leere Plastikflaschen und Geldbörsen ohne Geheimfächer oder Hosenbundketten.


Wer ein Campingmobil zur Übernachtung nutzen wollte, musste jederzeit damit rechnen, dass es abgeschleppt wird, sofern auf dessen Blechkleid Markenzeichen, Logos oder sonstige Werbemittel zu sehen waren. Der Klempner aus Montana, der mit dem Firmen-Van angereist war, sollte sein Vehikel also rechtzeitig überlackiert haben, sonst lief er Gefahr, nach dem Stones-Gig seine Unterkunft nicht mehr vorzufinden.


Die Acts sollen pauschal je mindestens 14 Millionen Dollar für ihre jeweils zwei Gigs verbucht haben. In die Öffentlichkeit gerieten die Gagen vor allem, weil Led Zeppelin ebenfalls ein Angebot erhalten hatten und sich nicht einig werden konnten.  Sänger Robert Plant lehnte sofort ab, Gitarrist Jimmy Page wollte unbedingt dabei sein.


Rosarote Superhelden


Erinnern wir uns kurz daran, was Rock’n’Roll einst verkörpert hat und wo Rebellen wie Bob Dylan oder Neil Young hergekommen sind: Der musikalische Schrei nach Freiheit basiert auf dem Blues; er entstand aus dem Elend des schwarzen Amerika und ist gleichzeitig Ausdruck von dessen unerschütterlicher Lebensfreude. Eine kulturelle Revolution, der Soundtrack zu den gesellschaftlichen Veränderungen in den 1950ern, 60ern und 70ern.


Davon ist offenbar nicht viel geblieben. In Wacken und anderswo macht‘s längst die Masse. Das Volk lässt sich wie Vieh durch die Merchandise-Gassen treiben. Es gibt Bier und Pommes zum Preis von Filetsteaks mit Cognac und Asis ohne Niwoh in Bomberjacken als Aufsichtspersonal.


Im Imperial Polo Club von Indio in Kalifornien sieht‘s ein bisschen lässiger aus. Man beschäftigt sich nicht mit Kleingeld, das Personal ist wie aus dem Ei gepellt, die Stimmung rosarot getüncht, auf der Bühne des Superhelden-Wochenendes steht keine einzige schwarze Musikgröße, und das in die Jahre gekommene weiße Wohlstands-Publikum geht am Stock. Straßenstaub ist bäh. Doppelte Drinks kosten das Achtfache. 

Nennen wir’s Kult.

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