There's no business like show business: Sharon und Ozzy Osbourne
Ozzy Osbourne:
Ein netter Typ, der ab und zu Tiere tötet
Der „Madman“ teilte so manches mit Madonna: Ozzy Osbourne war Zeit seines Lebens weder Komponist noch Poet oder gar mit einer entzückenden Singstimme gesegnet. Dennoch stieg er vom Barfuss-Freak zum Phänomen einer ganzen musikalischen Epoche auf, begleitet von irren Exzessen. Am 5. Juli 2025 sagte er mit Black Sabbath in seiner Heimatstadt Birmingham dem aktiven Musikerleben adieu. Sein Ruhestand währte nur kurz. 17 Tage später starb er im Alter von 76 Jahren.
Entwurf im Auftrag der Zürcher "Weltwoche", Juli 2025
Der Messias erschien am 18. Dezember 1995 in der Grugahalle zu Essen und predigte dort seinen Jüngern. Besser gesagt: Der seinerzeit 46-jährige „Fürst der Finsternis“ verkündete seine Botschaft mit halber Kraft, denn hinter den Boxentürmen ging unüberhörbar – und unübersehbar – ein sogenannter Ghost Singer ans Werk.
Den Fans von „Madman“ Osbourne war es herzlich egal, ob ihr Idol zum Singen gekommen war oder nicht. Im Vorfeld waren mehrere Auftritte der „Retirement Sucks“-Tour abgesagt worden. „Ozzy darf das“ konnte man in den Leserpostspalten der Rockmagazine lesen. Alleine den Mann lebend vor sich zu sehen, wie er breit grinsend über die Bühne watschelte, achtkommadrei Zentimeter hoch in die Luft hüpfte oder die Hände über dem Kopf zusammenpatschte, sorgte für riesige Begeisterung.
Hausarzt des Jahres
Fast 30 Jahre später war es ein noch grösseres medizinisches Wunder, dass Ozzy nach wie vor unter uns weilte. Es dürfte schwer sein, einen zweiten Menschen auf diesem Planeten zu finden, dessen Körper über Jahrzehnte hinweg mehr Alkohol, Drogen und Medikamente verdaut hat, ohne vorzeitig auf dem Acker Gottes zu landen.
Alleine sein Hausarzt in Beverly Hills, erzählte er 2003, habe ihm 32 unterschiedliche Medikamente mit insgesamt 13.000 Dosen verschrieben – in einem einzigen Jahr. Heruntergespült hat er diesen Pillenberg unter anderem mit vier Flaschen Cognac pro Tag. Hinzu kamen Ströme von Bier und Koks als Meterware. Lediglich Heroin war nie sein Fall. Seine Assistenten massierten ihn mehrfach täglich auf einer stets bereitgehaltenen Krankentrage und klopften ihn ab wie ein Wiener Schnitzel, um seine Blutzirkulation zu unterstützen.
High wie ein Wolkenkratzer
Die wirkliche Welt nahm er entsprechend meist nur schemenhaft wahr. High wie ein Wolkenkratzer biss er 1981 bei einem Treffen mit Plattenfirmenbossen in Los Angeles einer mitgebrachten Taube den Kopf ab. Dasselbe Schicksal erlitt 1982 eine Fledermaus, die ein Fan in Iowa auf die Bühne geworfen hatte. Erst als er Blut schmeckte, habe er realisiert, dass das Tier echt war: „Ich dachte, es sei aus Gummi.“
Ozzys Aussetzer gestalteten sich mitunter auch harmlos. An einem heissen Sommertag 1999 in Belgien feuerte er fröhlich eimerweise Wasser ins Publikum, um seine Fans zu erfrischen. Als Einziger hatte er nicht mitbekommen, dass die Besucher vor seiner Nase bereits längere Zeit total durchnässt im strömenden Regen standen.
Zu wenige Eier, zu viele Hasen
Auf seinen Anwesen in England verfeuerte der Liebhaber grosskalibriger Schiesseisen hingegen immer wieder echte Munition. Einmal mussten alle Hühner seiner ersten Frau Thelma dran glauben, weil sie für seinen Geschmack zu wenige Eier gelegt hatten, ein anderes Mal löschte er eine Katzenfamilie aus, weil er sie verdächtigte, den Lack seines Rolls-Royce zerkratzt zu haben.
Musikjournalist Götz Kühnemund erinnerte sich kürzlich an ein Gespräch mit Ozzy bei Tee und Gebäck in dessen englischem Schlösschen, als der Sangesmann unvermutet aufstand, ein Gewehr aus dem Schrank holte, ein Fenster öffnete und in den Garten ballerte. Es gebe da draussen einfach zu viele Hasen. Dann stellte er die Flinte ab und lehnte sich freundlich lächelnd in die Polstergarnitur zurück. Die Frage, ob Ozzy sich denn keine Sorgen um Frau und Kinder unten im Grünen gemacht habe, verkniff sich der Interviewer.
19 Fahrprüfungen
Der Aufstieg zum berühmtesten Vertreter einer ganzen musikalischen Epoche war mindestens so kurvenreich wie seine insgesamt 19 vergeblichen Versuche, die praktische Führerscheinprüfung des Vereinigten Königreichs zu bestehen, was in erster Linie der grosszügigen Betankung des Fahrschülers zu verdanken war.
John Michael Osbourne, aufgewachsen mit fünf Geschwistern in einer Zwei-Zimmer-Behausung in Birminghams Arbeiterviertel Aston, hatte aufgrund seiner Lese- und Rechtschreibschwäche sowie einem erst Jahrzehnte später diagnostizierten ADH-Syndrom keine Chance auf einen guten Abschluss. Zudem wurde er in der Schule gemobbt.
Mitte der 1960er verdiente er sich sein Brot als Klempner, auf Baustellen und bei der nervtötenden akustischen Endkontrolle von PKW-Hupen („Mein erster Job in der Musikbranche.“).
Seine anderthalbjährige Arbeit in einem Schlachthof habe ihm anfangs „Spass gemacht“, weil er kein Problem darin gesehen habe, Tiere zu töten, wie er 2012 in seiner Autobiografie „ I Am Ozzy“ freimütig einräumte. Die Grausamkeit der Kollegen gegenüber Rindern, Schafen und Schweinen, die unter Qualen verendeten, ging ihm dennoch zu weit. „An üblen Tagen war es im Schlachthaus wie in Auschwitz.“
Untüchtige Energie
Da es danach mit regelmässigem Tagwerk nicht recht klappen wollte, verlegte sich Ozzy auf das Knacken von Parkuhren und wiederholte Einbrüche in ein Fachgeschäft für Herrenoberbekleidung. Beim dritten Versuch wurde er geschnappt. Folge seiner untüchtigen Portion krimineller Energie: sechs Wochen Gefängnis. Der Teenager behauptete sich hinter Gittern wie schon während seiner Schulzeit: als Clown mit schlagfertigem Unfug.
Knochenmühle Starclub
Dieser Mutterwitz und sein Drang, sich auf jede Bühne zu stellen, egal womit, brachte den begeisterten Beatles-Fan 1968 mit drei Musikern aus seinem Viertel zusammen. Obwohl Ozzy nie Gesangsunterricht genossen hatte, akzeptierte das Trio den stets frohsinnigen und trinkfesten Dilettanten, der ganzjährig barfuss unterwegs war und als Schmuck über seinen zerrupften Klamotten einen rostigen Wasserhahn an einer Schnur um den Hals trug. Hauptattraktion des künftigen Frontmanns: Ozzy verfügte über eine eigene Gesangsanlage, für die sein Vater Jack, ein Werkzeugmacher, einen Kredit aufgenommen hatte.
Das Quartett ging durch eine harte Schule, wie viele seiner Zeitgenossen. Das Touring durch sämtliche Kellerlöcher Nordeuropas sorgte für unbezahlbare Bühnenroutine, inklusive der Knochenmühle Starclub Hamburg mit bis zu sieben Hungerlohn-Shows pro Nachtschicht.
Themen aus der Geisterbahn
In den frühen 1970er Jahren erlebten Black Sabbath ähnliches wie Led Zeppelin kurz zuvor: Sie wurden über Nacht mit ihrem Debütalbum zu Millionensellern. Die vier Jungs aus Aston hatten sich einer zentnerschweren Variante des Blues-Rock verschrieben, einem Gegenentwurf zum pastellbunten Hippie-Mainstream der Generation Love & Peace, mit einem bis dato nie gehörten, zappendusteren Klangteppich.
Bassist und Texter Geezer Butler war für liebliche Popsongs nicht zu haben. Er konzentrierte sich lieber auf Themen aus der Geisterbahn und entwickelte Slogans wie „Sabbath Bloody Sabbath“. Das Publikum dafür war zahlreich vorhanden. Black Sabbath avancierten zum ersten Alternative-Rock-Act der Geschichte. Gleich auf ihrer ersten US-Tournee spielten sie in Stadien vor Zehntausenden von Fans und feierten im Rahmenprogramm ihrer Erfolge über Jahre hinweg eine einzige endlose Orgie.
Offenbar dämmerte Kapellmeister Tony Iommi und seinen Kollegen im Laufe der Zeit allerdings auch die Erkenntnis, dass man künstlerisch zunehmend auf der Stelle trat, denn nach dem achten gemeinsamen Studioalbum „Never Say Die!“ wurde Ozzy 1979 aufgefordert, sich einen anderen Spielplatz zu suchen. Für viele Kritiker galt er ohnehin als Schwachstelle, weil er kaum Kontraste mit seinen Gesangslinien erzeugte und sich oft schlicht darauf beschränkte, Iommis Riff-Ideen stimmlich zu wiederholen.
Sharon übernimmt
Beide Parteien brachen auf zu neuen Ufern. Sabbath schufen mit Weltklasse-Sängern wie Ronnie James Dio und Tony Martin Meisterwerke des Melodiehandwerks – aber Ozzy Osbourne solo übertraf sie aus dem Stand um Längen: Ihm gelang nicht weniger als eine Revolution, deren riesige kommerzielle Erfolge 45 Jahre lang anhalten sollten.
Kurz zuvor hatte er in zweiter Ehe Sharon Arden geheiratet. Das Gesamtkunstwerk Ozzy ist ohne ihren Biss nicht vorstellbar. Mrs. Osbourne gilt als denkbar härteste Vertreterin des globalen Musikgeschäfts, noch vor Madonna. Ihre Sporen verdient hatte sie sich als Assistentin ihres Vaters Don, zeitweilig Manager von Black Sabbath.
Schöne Verhandlungen
Don Ardens Methoden im persönlichen Umgang: Einschüchterung, Gewalt, gerne mit vorgehaltener Schusswaffe, selbst gegen die eigene Familie. Ozzy erinnerte sich in seinen Memoiren daran, dass sein Schwiegervater schon mal Kunden an den Füssen aus dem Fenster hängen liess, um Verhandlungsergebnisse zu verschönern, oder seine Zigarren auf fremden Köpfen ausdrückte.
Auch Sharons Mutter Hope Arden gehörte nicht zu den Miterfinderinnen der Nächstenliebe. Sharon erlitt in jungen Jahren eine Fehlgeburt, nachdem sie von den Hunden ihrer Mutter angefallen worden war. Hope machte keine Anstalten, ihre Beißer zurückzuhalten.
Randy rettet die Party
Sharons und Ozzys Preis für die Freiheit: Sie waren gezwungen, sich bei Don Arden mit einem siebenstelligen Betrag aus Ozzys Sabbath-Vertrag herauszukaufen. Das geleerte Konto wurde dank eines wahren Glücksgriffs zügig wieder aufgefüllt: Der junge Kalifornier Randy Rhoads, eines der grössten Talente der elektrischen Gitarre, bewegte sich auf Augenhöhe mit Griffbrett-Zauberern wie Edward van Halen oder Hannovers Wunderkind Michael Schenker.
Die beiden ersten gemeinsamen Alben „Blizzard of Ozz“ und „Diary of a Madman“ erwiesen sich als stilistisch wegweisend für die goldene Ära des Hard Rock und Heavy Metal in den 1980er Jahren. Randys unwiderstehliche Riff-Kaskaden definierten eine Perlenschnur radiotauglicher Ohrwürmer, die sich millionenfach verkauften. Kettensägen mit Swing.
Von Stund an wurde Ozzy Osbournes Wirken zudem von ausgefuchsten Co-Songwritern und Producern begleitet. Seine Architektin Sharon überliess nichts dem Zufall.
Die Bonanza-Katastrophe
Aber selbst sie hatte es nicht in der Hand, die Katastrophe zu verhindern. Während der Band-Bus auf der US-Tour im März 1982 in Florida neben einem Sportflugplatz repariert wurde, lieh sich der Fahrer, ein Freizeitpilot, eine einmotorige Beechcraft Bonanza und bot den Mitreisenden Rundflüge an. Zum zweiten Start sass Randy Rhoads mit in der kleinen Maschine. Beim Versuch, die im Bus schlafende Crew mit einem knappen Überflug zu „wecken“, touchierte der Flieger das Fahrzeug und zerschellte in einem flammenden Inferno. Randy wurde nur 25 Jahre alt.
Sharon gestattete der Band eine zweiwöchige Trauerphase. Dann zog das Show Business der Osbournes weiter. Die gebuchten Auftritte wurden mit Ersatzgitarristen abgearbeitet. Praktisch jedes weitere Album mit den Nachfolgern von Randy Rhoads entpuppte sich anschliessend als fortlaufende Evolution der Revolution: zeitlos modern, gespickt mit professionell arrangierten Kompositionen, die bei MTV und anderswo in Dauerschleife rotierten. Sogar das liebliche Pop-Publikum wurde erreicht: dank Schmelzwasserballaden wie „Dreamer“, „Changes“ oder „If I Close My Eyes Forever“.
Eier für die harten Mädchen
Der Rest ist Geschichte. 1986 setzte sich das Paar mit dem Covergemälde von „The Ultimate Sin“ ein optisches Denkmal, Mitte der 1990er kreierten die Osbournes mit der „Ozzfest“-Tour eine höchst lukrative Festival-Serie, und ab 2002 liess Sharon ihre Familie im eigenen Haus fürs Reality-TV filmen, was Ozzy Osbourne vom Maskottchen der Metal-Szene zum weltweit bestaunten Mega-Madman beförderte.
Sharons väterliches Erbe brach ebenfalls immer wieder mal durch: 2005 liess sie die Headliner Iron Maiden auf der „Ozzfest“-Bühne von geheuerten Schergen mit Eiern bewerfen und anspucken, weil deren Sänger Bruce Dickinson sich über Ozzys Teleprompter lustig gemacht hatte.
Häkeln oder stricken?
Aber auch ihr Ehemann wurde stets straff gezügelt, wie sich an einem schicksalsträchtigen Datum offenbarte. Ozzy war am 11. September 2001, als die Türme des World Trade Center fielen, erstaunlich früh auf den Beinen und 27 Blocks nördlich des Anschlags in Manhattan mit Dingen beschäftigt, wie man sie dem „Prince of Darkness“ kaum zugetraut hätte: einer Patchwork-Handarbeit. Ob es sich bei seiner Tätigkeit um das Vernähen eines Quilts oder das Häkeln eines Topflappen-Accessoires handelte, führte er nicht näher aus. Sharon wurde 2002 im Interview mit dem „Rock Hard“ deutlicher:
„Ich halte ihn seit 20 Jahren beschäftigt und aktiv. Wenn Ozzy nicht arbeiten würde, wäre er jeden Tag stoned. Er muss arbeiten, um am Leben zu bleiben. Er glaubt von sich selbst, dass er ein Versager ist. Also muss man ihn permanent aufbauen.“
Welches Instrument?
Als Mr. Osbourne mit Anfang 60 den Schritt in ein etwas gesünderes Leben schaffte, stellte sein Doktor überrascht fest, er habe ausser einem leicht erhöhten Cholesterinspiegel keinerlei nennenswerte Sachschäden an Leber, Herz und Nieren davongetragen.
Da staunt selbst der „Gewaltmusik-Nachrichtenbrief“ aus Oberkirch im Schwarzwald. Dessen Blogger Dr. Klaus Mieling rechnete 2013 aus, der Geiger eines Kammerorchesters werde durchschnittlich rund 90 Jahre alt, der durchschnittliche Gewaltmusiker (Rocker und vergleichbar räudiges Gesindel) hingegen nur 56:
„Wer sein Kind Schlagzeug oder E-Gitarre statt Violine oder Oboe lernen lässt, der könnte ihm mehr als drei Jahrzehnte seiner Lebenserwartung nehmen. Wesentlich mehr als bei einem Raucher! Haben Sie die Frage ‘Welches Instrument für mein Kind?‘ einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachtet?“
Hätten Lilian und Jack Osbourne solche empirisch wertvollen Aspekte in Betracht gezogen, wäre der Welt fraglos eine illustre Persönlichkeit entgangen.