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die Wortwerkstatt

Butterzart schlägt hammerhart

 

Herzhafte Anekdoten über Glück und Unglück der Fußballwelt füllen stramme Poesiealben. In den verrückten Jahren des Aufstiegs der Underdogs war halt längst nicht alles durchgestylt. Gladbach gewann lieber 5:4 als 1:0. 

Aber kann unser Zeitalter zu derlei Kulturschätzen überhaupt noch etwas Nennenswertes beitragen, solange Spielerfrauen in klimatisierten Logen mit zauberhaften Oligarchen anstoßen, während auf dem Rasen und im Reporterstübchen die Rückwärtsbewegung Triumphe feiert?

 

Alternative Fakten

Eine seiner größten Sensationen erlebte der Weltfußball 1950 bei der WM in Brasilien: Die Profis aus England unterlagen den völlig namenlosen US-Amerikanern, einer Elf aus Feierabendfußballern, mit 0:1. Da es seinerzeit noch kein Satelliten-TV gab und selbst Radioübertragungen aus Übersee Zukunftsmusik waren, glaubten viele britische Sportredakteure an einen Übermittlungsfehler. Sie gingen davon aus, das Spiel sei 10:1 ausgegangen und vermeldeten den großen „Sieg“ in ihren Blättern.

 

„Ich kann doch nicht schon jetzt die Aufstellung vom nächsten Wochenende sagen. Der eine kriegt eine Grippe, beim anderen kriegt die Oma einen Zahn.“

(Eduard Geyer, Kindergärtner aus Cottbus)

 

Voodoo-Zauber in Beton

Der Aberglaube gehört zum Fußballgeschäft wie das Handgeld oder die Strafraumschwalbe. Dreieinhalb Jahrzehnte lang verzweifelten die Fans und Verantwortlichen von Racing Buenos Aires an einem fiesen Fluch: Nach Racings Meistertitel 1966 hatten Anhänger des Erzrivalen Independiente im Stadion von Racing bei einer Voodoo-ähnlichen Zeremonie sieben tote Katzen verbuddelt. Der Club stürzte in der Folge sportlich ab und stand wirtschaftlich vor dem Ruin. Regelmäßig wurde der Rasen umgegraben, um die Überreste der Felltiere zu suchen. Das Problem: Sechs Skelette tauchten im Laufe der Jahre auf, aber das siebte blieb schier unauffindbar. Erst als zur Jahrtausendwende damit begonnen wurde, selbst überbaute Flächen einzureißen, fand man die siebte Katze unter einer Betondecke. Kaum zu glauben, aber wahr: 2001 holte Racing zum ersten Mal seit 1966 wieder den argentinischen Titel.


„Hass gehört nicht ins Stadion. Solche Gefühle sollte man gemeinsam mit seiner Frau daheim im Wohnzimmer ausleben.“
(Hans-Hubert Vogts, Bundesberti)

 

Salzburg im Farbenrausch

Im Zeitalter der Globalisierung gibt es wenig Verständnis für Traditionen. Radikal erwischte es dabei die Anhänger von Austria Salzburg. Zunächst wurden bereits seit 1973 abwechselnd diverse Sponsoren in den Vereinsnamen integriert, weshalb das Team mal als Casino Salzburg, mal als Sparkasse Salzburg auflief. Am kuriosesten war dabei sicher der Einstieg einer Kaufhauskette, durch die der Club als FC Gerngroß Salzburg in den Statistiken auftauchte. Immerhin ließen alle diese Firmen den Fans ihre Farben: Violett und Weiß. Der Limonadenabfüller Red Bull sah diese Werte weniger sentimental und verpasste dem damals dreifachen österreichischen Meister die Farben Rot und Weiß.

 

„Das Wort mental gab es zu meiner Zeit als Fußballspieler noch gar nicht. Nur eine Zahnpasta, die so ähnlich hieß.“
(Rudi Assauer, SV Werder)

 

Erleuchtete Ecken

Um die Fans an Abendspiele nach Sonnenuntergang zu gewöhnen, organisierten mehrere Vereine aus verschiedenen deutschen Oberligen in den 1950er Jahren den sogenannten Deutschen Flutlichtpokal.
Das erinnert ein wenig an den Erfinder des Einkaufswagens, Sylvan Goldman aus Oklahoma City, der in seinem Supermarkt zu Anfang bezahlte Einkaufswagenschieber beschäftigte, weil sich die Kunden 1937 noch nicht trauten, die Drahtkörbe mit Rollen selbst durch die Regalreihen zu schubsen.
Der DFB gestattete für den Lampen-Wettbewerb eine einmalige Regeländerung, denn bei unentschiedenem Spielstand wurde jene Mannschaft zum Sieger erklärt, die mehr Eckbälle herausgeholt hatte.
Erster Champion war 1957 die Frankfurter Eintracht nach zwei Unentschieden und 8:6 Ecken gegen Schalke 04. 1958 holte sich Lokalrivale Kickers Offenbach den Leuchtmittel-Cup. 1959 wurde der Wettbewerb wieder eingestellt. Aber damals trafen sich die beiden Erzrivalen ohnehin bei Tageslicht in Berlin, als die Eintracht beim 5:3 ihren ersten und einzigen Deutschen Meistertitel holte. Für die Kickers war es nach dem verlorenen Endspiel von 1950 gegen den VfB Stuttgart (1:2) die zweite Vizemeisterschaft.

 

„Spanien wäre ein schönes Land, wenn nicht so viele Spanier dort leben würden.“
(Max Merkels letzter Satz als Trainer des spanischen Tabellenführers Atletico Madrid)

 

Masseur im Tor

Den originellsten Versuch der Bundesliga-Geschichte, ein Tor zu verhindern, unternahm der Masseur des MSV Duisburg 1982 im Volksparkstadion. Gerard Kuipers war gerade hinter dem Tor damit beschäftigt, einen Spieler aufzupäppeln, als er mitbekam, dass HSV-Stürmer Thomas von Heesen den Ball über MSV-Keeper Schreiner lupfte. Kuipers rannte auf den Platz und versuchte den Ball im Flug mit seinem Arztkoffer zu erwischen, aber von Heesens Chip passte perfekt. Der MSV kassierte mit dem 0:7 die höchste Niederlage seiner Geschichte und Kuipers vom DFB eine spaßige Sperre plus Geldstrafe.

 

„Wenn wir hier schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“ 
(Rolf Rüssmann, als Manager des VfB Stuttgart)

 

Ein Mann braucht sein Hobby

Die Ursünde des Fußball-Konkurses in Deutschland fand 1979 mitten im Ruhrgebiet statt. Erhard Goldbach, Präsident und Mäzen des SC Westfalia Herne, wollte seinen Club Ende der siebziger Jahre mit allen Mitteln in die Bundesliga bringen. Der Besitzer einer Tankstellenkette namens Goldin hatte den Verein sogar zu einer Namensänderung bewogen: Ab 1977 trug der Traditionsclub – vor Einführung der Bundesliga eine erstklassige Adresse in der Oberliga West – den Namen SC Westfalia Goldin 04 Herne.
Im Mai 1979 flog dann das illegale Geschäftsmodell von Goldbach auf: Der Unternehmer konnte stets günstigere Preise anbieten als die Konkurrenz, weil er große Mengen Benzin unter der Hand verkaufte und die dafür fällige Mineralölsteuer hinterzog. Der Zusammenbruch seines Imperiums riss auch den SC Westfalia in den Abgrund. Der Verein ging mit einer attraktiv zusammengestellten Mannschaft als Top-Favorit auf den Bundesliga-Aufstieg in die Saison 1979/80, doch nach dem ersten Spieltag zog der DFB die Notbremse und entzog den Hernern die Lizenz für den Profi-Spielbetrieb, denn es war längst klar, dass der Club sein teures Team kaum würde bezahlen können.
Erhard Goldbach saß viele Jahre im Gefängnis. Von den über 300 Millionen D-Mark, die der Hobby-Bordellbetreiber unterschlagen haben soll, fehlt bis heute jede Spur. Der SC Westfalia kam nie wieder in die Nähe seiner früheren Bedeutung.


„Abseits is, wenn dat lange Arschloch zo spät abspielt.“
(Hennes Weisweiler preist Günter Netzer)


Mega-Rechenzentrum DFB

Heutzutage undenkbar, aber bis in die späten sechziger Jahre Realität: Bei Punktgleichheit entschied nicht die Tordifferenz, sondern der sogenannte Torquotient. Erst 1969 ließ man beim DFB von dieser Rechenform ab, bei der die Zahl der erzielten Tore durch die der erhaltenen geteilt wurde. Denn es gab stets ein Problem, sobald die Null ins Spiel kam. Die Division durch null ergibt stets null; also wurde die Mathematik schlicht ein wenig verbogen und die Null mit „unendlich“ gleichgesetzt, was Mannschaften ohne Gegentreffer bevorteilte.

Dadurch kam es zu grotesken Resultaten wie der Tabelle des ersten Bundesliga-Spieltags 1963. Der erste Spitzenreiter der neuen deutschen Profi-Liga hieß nicht Meidericher SV; der MSV wurde trotz eines 4:1-Siegs beim Karlsruher SC auf Platz drei eingestuft, da der 1. FC Köln und Schalke 04 ihre Auftaktmatches mit 2:0 gewannen. Derlei abgezockte Rechentricks hatte nicht mal die Wall Street in ihren besten Jahren zu bieten.

 

„Was für eine Veranstaltung! Jetzt gibt's hier auch noch härtesten Rock!"

(ZDF-Hartmann Bela Rethy bejubelt bei der Eröffnungsfeier der WM '98 eine Weichspüler-Boygroup in pastellfarbenen Strampelhöschen)

 

Lustig tanzt der Grotifant

Der Effzeh hat seinen Geißbock Hennes,  und in Meiderich grinst seit jeher das Zebra von den Plakaten. Seit den 1990er Jahren haben fast alle großen Clubs nachgerüstet und sich ebenfalls ein mehr oder weniger tierisches Maskottchen aus der Retorte zugelegt. Mal passen die Viecher wenigstens zu den Vereinsfarben, wie Wacker Burghausens Knuddelpanda, mal muss man sich fragen, ob die Findungskommission einen Absinth-Abend eingelegt hat – wie bei „Fritzle“, dem knallgrünen Neckar-Krokodil des VfB Stuttgart.

Zu den Klassikern aus Köln und Duisburg konnten sich nur wenige glaubhaft gesellen – wie beispielsweise der Grotifant, ein einzigartiges Rüsseltier, das aus dem direkt neben der Grotenburg-Kampfbahn gelegenen Krefelder Zoo stammt. 

Erste Aufmerksamkeit erregte der Grotifant zu Beginn der Neunziger, weil er im Stadionmagazin von Uerdingen 05 in einer eigenen Rubrik ständig die Taktik des Trainers oder den Einsatzwillen der Spieler kritisierte – bis sich herausstellte, dass sich der damalige Manager Felix Magath mit seinen Texten hinter dem lustigen Tierchen versteckte. Kein Wunder, dass Tausendsassa Magath auch 20 Jahre später in Wolfsburg neben seiner Generalmanagertätigkeit noch Zeit und Muße fand, als Herausgeber der Stadionzeitung zu fungieren. Der Mann weiß halt, wie man Sportpolitik macht. Zur Not auch mit vorgetäuschtem Rüssel.

Weniger dezent und ausgefuchst als Felix ging allerdings jener Zeitgenosse zur Sache, der ab Mitte der 1990er das Grotifantenkostüm durchs Krefelder Stadion trug. Vor allem die Matches gegen den Erzrivalen Fortuna Düsseldorf fanden einen Spitzenplatz in der Maskottchengeschichte. Mal wurde der Linienrichter wegen angeblich falschen Fähnchenwinkens attackiert, mal rannte der Grotifant auf den Platz, um ein drohendes Gegentor zu verhindern, und immer wieder hüpfte Uerdingens zwölfter Mann vor dem Fanblock der Gästefans mit provozierenden Gesten auf und ab. Einmal geriet der Dickhäuter allerdings auch etwas zu nah an den Zaun, was ihn im folgenden Scharmützel seinen Rüssel kostete.

Nach diversen Vorfällen wurde der Grotifant vom Westdeutschen Fußballverband für längere Zeit gesperrt. Aber auch nach der Begnadigung gab es keine Ruhe: 2004 lief der Uerdinger Ultra im Benjamin-Blümchen-Outfit beim einem Pokalspiel hinter das Tor der Fortuna und legte sich mit Torwächter Carsten Nulle an. Nulle machte kurzen Prozess und streckte ihn spontan mit einem Fausthieb nieder.

 

„Das Blöde an meinem Job? Ich muss arbeiten, wenn auf NDR 2 Fußball läuft.“
(Anthony Yeboah, Torschützenkönig)

 

 

 

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