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Yamaha: ein Mix aus Musik und Motoren

Start-up-Meister der Moderne

Auszug aus einem Firmenportrait für drumheads, Ausgabe 5/2017


So mancher Freizeitbiker, der sein Gummi auf Schwarzwald-Serpentinen qualmen lässt, dürfte sich schon gefragt haben, welche Bauteile bloß im Logo seiner Yamaha verewigt worden sein mögen. Stilisierte Stoßdämpfer? Ansaugstutzen? Oder Nadelventile? Weit gefehlt. Der Ursprung dieses Signets geht zurück bis ins Jahr 1898. Tief im Herzen der Weltfirma rotieren drei Stimmgabeln. 


Mischkonzerne, die im Laufe ihrer Existenz durch Zukäufe und Erweiterungen riesig geworden sind, gibt es in vielen Branchen. Aber Yamaha ist über die Musikwelt hinaus etwas Besonderes. Die Erfolge beruhen nicht nur auf typisch japanischem Fleiß und sensiblem Qualitätsmanagement, sondern auf der Leidenschaft, dem Pioniergeist und der Experimentierfreude ihres Gründers Torakusu Yamaha. Seinem emotionalen Vermächtnis dürfte sich kaum einer der über 20.000 Konzernmitarbeiter entziehen können. 


Weit vor Julius Maggi und Enzo Ferrari


Der 1851 geborene Torakusu Yamaha war ein begabter Techniker – in einem Zeitalter, dem technischer Fortschritt über alles ging. Er wuchs als Teenager in Osaka auf, als sich das jahrhundertelang abgeschottete Land ab 1868 zu öffnen begann. Torakusu war vom Innenleben westlicher Taschenuhren fasziniert und ergriff den Beruf des Uhrmachers; nebenher studierte er Betriebswirtschaft und reparierte medizinische Geräte. 


Als er eines Tages von einem Musiklehrer gebeten wurde, sich ein defektes Harmonium anzuschauen, hatte er seine Bestimmung gefunden. Die Heimorgel der vorelektrischen Zeit erzeugt ihre Töne durch Luftbewegungen ähnlich einem Akkordeon. Yamaha war ein äußerst cleverer Mann, denn er brachte nicht nur das Instrument wieder in Gang, sondern erkannte umgehend dessen kommerzielles Potential, zerlegte es komplett und zeichnete einen detailgetreuen Konstruktionsplan. 


Der Legende nach hat er das wiederhergestellte Harmonium auf seinen Rücken gebunden und über einen Bergpass geschleppt, um es in der Musikschule abliefern zu können. Seine Heldentat wurde gar von einem Steinmetz in ein Relief gemeißelt, um es für spätere Generationen festzuhalten. Dieser Heiligenstatus in seiner Heimatprovinz hebt ihn von sämtlichen Start-up-Meistern der Moderne ab, weit vor Enzo Ferrari oder Julius Maggi. 


Es gab nur ein Problem: Das Instrument fabrizierte unangenehm schiefe Töne. Die Kritik wurmte Torakusu. Als er mit dem Bau eigener Orgeln begann, wurde daher die Stimmgabel zu seiner ständigen Begleiterin. Mit ihr tüftelte er über Monate hinweg Tag und Nacht daran, seinen Prototypen möglichst harmonisch klingen zu lassen. 


Perfektion dank Airbag 


Bereits 1898, ein Jahr nach der Eintragung seiner GmbH ins Handelsregister, avancierte die Stimmgabel zu seinem Firmenlogo. Selbst als 1955, fast 40 Jahre nach Yamahas Tod, die Yamaha Motor Company gegründet wurde (die übrigens bis auf einen Aktienanteil von rund zwölf Prozent getrennt vom Mutterhaus geführt wird), übernahmen die Motorradkonstrukteure ganz selbstverständlich das Stimmgabel-Trio. Dessen Dreifaltigkeit repräsentiert die Säulen des Unternehmens: Technologie, Produktion und Verkauf.


Für das Werk war es Mitte der 1960er ein logischer Schritt, im Gefolge der Beatlemania und der British Invasion in den gigantisch wachsenden Markt der Band-Instrumente einzusteigen. 1966 begann die Produktion von E-Gitarren, und 1967, mitten im „Summer of Love“, dem Höhepunkt der Hippiewelle, wurde der Aufbau einer Schlagzeug- und Percussion-Abteilung beschlossen. Sie sollte Maßstäbe setzen.


Zu diesem Zeitpunkt war die Firma bereits seit Jahrzehnten eine bedeutsame Marke der Musikalienwelt. Aus Yamahas Fertigung stammten Klaviere und Konzertflügel ebenso wie Streich- und Blasinstrumente aller Art, von der Geige bis zum Kontrabass, von der Klarinette bis zur Tuba. Auch im Orgelbau, in der Keyboardtechnik und in filigraner Unterhaltungselektronik gehörte man stets zu den Pionieren. Bis heute reitet das Unternehmen auf der Schaumkrone der technologischen Welle, wie ein Blick in die zahlreichen Abteilungen beweist. Die Produktpalette umfasst digitales Aufnahme-Equipment ebenso wie die Halbleiterproduktion oder schallschluckende Wand- und Deckenpaneele für die Studiodekoration.


Von Beginn an setzte man im Drum-Segment eigene Akzente, ganz im Geiste des Gründervaters. So entwickelte Yamaha für die heutzutage gefragten Vintage-Serien D20 und D30 das Air-Seal-System. Die Holzstreifen für die Kesselfertigung werden aus Ein-Millimeter-Schichten zu Zweier- oder Dreierpaketen gebündelt, von Spezialisten in eine Form gehämmert, bis ihre sechs bis elf Schichten perfekt aufeinander sitzen, und dann mit der Kraft eines Airbags, der einen Innendruck von vier Kilo auf den Quadratzentimeter ausübt, zum perfekten Rundling gepresst.


Darauf muss man erst mal kommen
 
Mitte der Siebziger steckte Yamaha das Terrain mit gleich mehreren Neuerungen ab. Als erster Hersteller machte man die Kombination sämtlicher Kessel- und Hardware-Komponenten aller Baureihen untereinander möglich und nannte das Ganze „System Drum Concept“. Eine simple Idee aus sechseckigen Haltebolzen für die Kessel, entsprechenden Führungen sowie auf 22 Millimeter Durchmesser vereinheitlichten Hardware-Röhren. Wie immer bei Ansicht solcher Lösungen dürften sich sämtliche Konkurrenten gefragt haben, warum sie darauf nicht längst von selbst gekommen waren. 


1976 verwandelte man den klassischen Galgenständer in einen „Hide Away Boom Stand“, dessen sperriger Ausleger sich für den Transport ins Basis-Rohr einschieben ließ. Und 1977 verblüffte man die Drummer-Welt mit der ersten praktikablen „Ball Mount & Clamp“-Halterung, die das stufenlose Justieren und Fixieren eines Hängetoms mit Hilfe einer stabil gelagerten Kunststoff-Kugel ermöglicht.   


1979 brachte die Firma ihr Meisterstück heraus: Mit dem YD9000-Set etablierte man sich in der Spitzenklasse der Schlagwerkproduzenten. Der Anstoß für die aus hundert Prozent Birke verleimten Kessel stammte aus der Erfahrung der  Klavierbau-Abteilung mit dem nordischen Holz. Hinzu kam die Einführung des „One Piece Lug“, um die Anzahl der Kesselbohrungen zu reduzieren. Dank des stabilen Klangbilds, das sich vor allem für die Studioarbeit empfahl, wirbt Yamaha seit langem mit dem Slogan „The most recorded drum set in history“. 


Tiefseetöne aus der Weltraumforschung


Weitere Innovationen hielten die Konkurrenz gegen Ende des Jahrtausends auf Trab. 1998 schwebte vor dem Resonanzfell der Maple-Absolute-Bassdrum ein echter Blickfang aus der Weltraumforschung: Das „Subkick Low Frequency Capture Device“ holte nun selbst die Tiefseefrequenzen der Bassdrum ins Mischpult. Darüber hinaus entwickelte man mit dem Hipgig-Traveller-Kit ein tragbares Schlagzeug für Straßenmusiker und Strandgigs. 


Auch in den Nullerjahren kam immer wieder etwas Neues aus der Entwicklungsabteilung. Ab 2002 ermöglichte die Kesselfertigung von Yamaha dank der Air-Seal-Produktion den erstmaligen Einsatz von Eiche und damit deutlich bassigere Sounds. Der zwischen den Holzschichten aufgetragene Leim härtete nun in zwei bis fünf Minuten in einem Mikrowellenofen aus, was für das Holz deutlich schonender ist als die herkömmliche Ofentrocknung der Anfangsjahre.


Torasuku Yamaha wäre fraglos stolz darauf, was er mit seiner musikalischen Technikbegeisterung und dem Vertrauen in seine Stimmgabel so alles angestoßen hat. Nur dass er heutzutage eher eine elektronische Orgel über den Berg schaffen würde. Auf dem Gepäckträger einer XVS 1100 DragStar. 

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